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Kastanien

Kultur, Konservierung, Verarbeitung

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Anbau

Frutteto, fustaio, ceduo – Fruchtwald, Hochwald, Niederwald. Der Anbau der Kastanien hat durch viele Jahrhunderte hindurch das Leben in den unteren Bergregionen der Südalpen geprägt. Die Früchte waren Hauptnahrungsquelle der Bewohner und Anbau, Ernte, Konservierung, Zubereitung beherrschten den Jahreslauf. In die Bewirtschaftung der Selven waren aber auch weitere Nutzungen eingeflochten, z.B. die Beweidung mit Schafen und Ziegen, die vom Frühjahr bis wenige Wochen vor der Kastanienernte und danach erneut während einiger Wochen stattfand. Honig und Pilze wurden in den Selven gewonnen und Laub und Holz waren weit mehr als Abfallprodukte. Die Stachelhüllen und die getrockneten Schalenreste wurden zum Feuerregulieren verwendet, die Blätter als Tierfutter und Einstreu, die Reste der Kastanienverarbeitung zur Schweinemast. Es gab keine Abfälle.

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Ernte

Die Kastanien sollten möglichst täglich oder alle zwei Tage aufgesammelt und verarbeitet werden, um die Entwicklung von Krankheiten und Schädlingen zu unterbinden. Zur sofortigen Behandlung eignet sich die Thermisierung (45 Minuten in 50° warmem Wasser) oder das traditionelle Wasserbad, die Novena: Neun Tage (oder ca. eine Woche) in kaltem Wasser lagern, die bereits befallenen schwimmen auf und werden entfernt. Nach ein paar Tagen steigen Bläschen auf, es beginnt eine milchsaure Fermentation der Zuckerstoffe, die die Haltbarkeit verbessert. Das Wasser sollte mehrfach erneuert werden. Anschließend sind die Kastanien wieder auf den natürlichen Wassergehalt zurückzutrocknen. Danach können sie kühl gelagert monatelang aufbewahrt werden.

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Verarbeitung

Vor dem Verzehr müssen die Früchte geschält, d.h. von der harten äußeren Schale und von der ungenießbaren dünnen Fruchthaut befreit werden. Dafür gibt es verschiedene Verfahren: frisch oder gekocht von Hand schälen, nach Rösten/Erhitzen oder nach Trocknen und Dreschen schälen. Eine weitere Möglichkeit ist das Auspressen des Fruchtfleischs. Rösten: die einfachste und vielleicht die beste Zubereitungsart. Das Schälen entfällt bzw. wird direkt von der Hand in den Mund erledigt. Eine Stunde in Wasser einlegen, Kreuzweise einschneiden, durch Schale und Haut, aber nicht zu tief, auf ein Blech legen, im vorgeheizten Backofen bei 180 bis 200 Grad ca. 20 Minuten rösten, ab und zu wenden und Wasser drüber träufeln, oder eine Tasse Wasser in den Backofen dazustellen. Oder in einer Pfanne mit Löchern direkt über dem Feuer braten. Schälen: Für die meisten Rezepte werden geschälte vorgegarte Kastanien benötigt. Dabei sollen sie roh bleiben oder nur leicht gegart werden. Ebenfalls eine Stunde wässern, kreuzweise einschneiden, einen kleinen Topf Wasser mit ein paar Tropfen Öl zum Kochen bringen, die Kastanien in kleinen Portionen (Handvoll, 5-10 Stück) jeweils 3 Minuten kochen lassen, und heiß schälen (gleichzeitig die nächste Portion kochen usw.). Die Kastanien sind dann noch fest, goldgelb und nicht durchgegart und können beliebig weiterverarbeitet werden: im Eintopf, im (vegetarischen) Hackbraten, mit Kraut kochen, mit Fleisch braten, oder einfach nur in Milch kochen (schmeckt weich und süß). Zur Vorbereitung zum Schälen können die Kastanien auch in der Mikrowelle erhitzt werden (Achtung: ohne einschneiden explodieren sie!!) oder im Dampftopf, nur einmal kurz den Druck hochfahren (das geht ohne einschneiden, da der Druck ausgeglichen ist). Die geschälten Kastanien können einige Tage im Kühlschrank aufbewahrt werden, dabei feucht halten (in einem feuchten Tuch oder luftdichter Verpackung). In der Tiefkühltruhe bleiben sie beliebig lange haltbar, verlieren aber einiges an Geschmack und Biss. Um püriertes Fruchtfleisch – z.B. für Kastaniencreme – zu gewinnen, können die Kastanien auch gekocht und direkt ausgepresst werden. Die Kochzeit beträgt je nach Größe und Sorte 5 bis 10 Minuten. Die Kastanien können z.B. halbiert gekocht werden und anschließend mit einer Kartoffel-, Knoblauch- oder Tomatenpresse ausgepresst werden. Dabei gelangt auch ein gewisser Anteil der astringierenden Fruchthaut (Epidermis) in die Masse, wodurch z.B. bei Kastaniencreme der Geschmack etwas kräftiger bzw. herber wird. Eine empfehlenswerte Variante für eine feine und helle Kastaniencreme besteht darin, die Früchte zu kochen, danach aufzuschneiden (nicht ganz durchschneiden, auf Schäden kontrollieren!) und noch heiß von Hand auszupressen. Kleine Portionen (ein paar Handvoll) in zwei Töpfen im Wechsel jeweils ca. 10 Minuten kochen. Mit etwas Übung und Geduld erhält man dann ein sehr sauberes Püree.

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Trocknen und Dreschen

In den Selven der Bergtäler wurden überwiegend kleinfrüchtige Kastanien kultiviert, die für die Vorratshaltung getrocknet und teilweise zu Mehl weiterverarbeitet wurden. Für die Trocknung wurden Dörrhäuschen gebaut (essiccatoio, örtlich „secou“ oder „grà“ im Piemont, „metato“ in der Toskana, „clède“ in Frankreich), aus praktischen Gründen meist direkt in den Selven. Die fertig getrockneten, gedroschenen und ausgelesenen Kastanien wiegen nur noch ca. 25-30% der frisch geernteten und können dann leichter ins Dorf oder zur Mühle transportiert werden. In der „grà“ wurde über ca. 30 Tage ein abgedecktes Feuer unterhalten und damit eine gleichmäßige nicht zu hohe Temperatur eingestellt. Die auf einem geflochtenen Rost gelagerten Kastanien wurden schichtweise eingebracht und dann alle paar Tage umgeschaufelt. Das anschließende Dreschen zum Lösen der Schale und der Fruchthaut erfolgte durch Schlagen in Leinensäcken oder Stampfen mit Holzkeulen oder Stampfen mit speziellen Stachelschuhen. Ab den 1920er Jahren wurden riemengetriebene Dreschmaschinen (sbucciatrice oder sgusciatrice) mit integrierter Windfege und Rüttelsieben eingesetzt. Trotz dieser bedeutenden Arbeitserleichterung mussten die mechanisch geschälten und kalibrierten Kastanien noch von Hand nachgelesen und gereinigt werden, da immer einige verdorbene Früchte und Reste der bitteren Fruchthaut verbleiben.

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"Bianche" und Mehl

Die getrockneten von den Schalen gereinigten Früchte („castagne secche“ oder „bianche“, in Frankreich „cruses“, „pises“ oder „châtaignons“) sind ein wertvolles, haltbares, gut zu vermarktendes Produkt. Sie können bis zu einem Jahr problemlos aufbewahrt werden. Vor der Verarbeitung in der Küche müssen sie wie Hülsenfrüchte einige Stunden eingeweicht werden – durch die Wasseraufnahme verdoppeln sie nahezu ihr Gewicht und können dann wie frische Kastanien zubereitet werden. Die „bianche“ können auch vermahlen und damit noch weiter veredelt werden. Das Mehl hat eine noch höhere Dichte, es wurde früher in die hölzernen Mehlfässer eingepresst und konnte dann bis zu 2 Jahren konserviert werden. Gemahlen wurde in Wassermühlen – man findet Relikte dieser zahlreichen Mühlen an den erstaunlichsten Stellen in den engen, steilen Bachtälern.

Kastaniencreme

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Ebenfalls gut geeignet zur Konservierung und zur späteren Weiterverarbeitung in der Küche ist das Einkochen der Fruchtmasse zu einfacher ungesüsster Püree oder zu Kastaniencreme. Die Kastanien werden maschinell oder von Hand ausgepresst (siehe oben: Verarbeitung) und die Masse dann wie Marmelade mit Zucker 1:1 oder 2:1 verkocht. Zur Verfeinerung kann die Creme passiert/püriert und mit Vanille, Butter, Rum, Cognac, Nussstückchen usw. versetzt werden.

Eigenproduktion 2023

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Die Arbeitsgänge der Trockenkonservierung können mit einfachen Mitteln durchgeführt werden. Wir trocknen die Kastanien auf Gitterrosten über dem Holzherd, dreschen und verlesen von Hand und verarbeiten den „Bruch“ mit einer Schrotmühle zu Gries und Mehl. Aus Gries und Mehl lassen sich pancakes, Frikadellen, Plätzchen machen oder Teige für Hackbraten und Kuchen, die im Ofen gebraten werden. Unsere Kastaniencreme ist von Hand ausgepresst, mit Zucker 2:1 gekocht und mit etwas Vanille verfeinert.

Rezepte...

…gibt’s im internet oder in folgenden Büchern: „Kastanien“ von E. Bänziger und F. Buri, ISBN 978-3-03780-366-0 „Edle Kastanien“ von S. Schubert und B. Lutterbeck, ISBN 978-3-99011-035-5 „Il quaderno delle ricette del Lago Maggiore..” ISBN 978-88-571-0020-3 Die folgenden Rezepte sind in vielen Varianten erprobt... Kastanienhackbraten Zwiebeln und Pilze andünsten, Kräuter, Knoblauch und fein geraspelte Karotten/Sellerie, Salz, Kräuter, Gewürze, Pfeffer hinzufügen. Mit Kastanienmehl (oder -gries), Eiern, Semmelbröseln (oder vorgekochtem Bulgur) zu einem Teig vermengen, (vegane) Sahne, zerkleinerte Nüsse, Sonnenblumenkerne und was das Herz begehrt dazu mischen und in einer Form bei 180° eine gute Stunde backen. Noch eine Soße (Zwiebel und Rosmarin andünsten, Tomatenmark, Sojasoße, mit Rotwein und Gemüsebrühe ablöschen) und einen Salat dazu… Sonntagsessen! KuK Eintopf: Kichererbsen und Kastanien Jeweils eine gleiche Menge (200-300g) Kichererbsen und Kastanien (frisch geschält oder 100g getrocknete, eingeweicht) getrennt kochen. Knoblauch in Öl andünsten, evtl. Sellerie und Karotten gewürfelt, passierte Tomaten dazu, Rosmarin, Lorbeer. Mit etwas Wein, dann Wasser/Brühe ablöschen. KuK, Salz und Pfeffer dazugeben, ca. 30 Minuten kochen. Kann beliebig variiert werden. Kastanienbrownies Schnell und einfach: 100g Schokolade (dunkle!) mit 150g Butter im Wasserbad schmelzen, 250g (süsse) Kastaniencreme einrühren, abkühlen lassen, nacheinander 3 Eier und ca. 50g Mehl einrühren. Eine flache Form einfetten und mit Mehl bestäuben, bei 160 bis 180° ca. 30 Minuten backen, in Streifen oder Rauten schneiden, fertig. Galettes 250g Mehl, 150g Butter, 1/2TL Backpulver zu einem Mürbteig kneten, 100g (süsse) Kastaniencreme mit einem Ei verrühren und mit dem Teig vermischen (nicht kneten) und kaltstellen. Teig ausrollen und Formen ausstechen, mit Eigelb bestreichen, 10-15 Minuten backen. Blinis, pancakes.. Kastanienmehl, Eier, Milch nach Gefühl zu einem schönen Pfannkuchenteig verrühren, fein gehackte Frühlingszwiebel, Kräuter, Salz, Pfeffer dazu und in die Pfanne damit. Nur 3 kleine pro Pfanne, damit man sie noch gut anheben und wenden kann.

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